Geschäftsprozesse – Frust oder Lust?
Wer kennt sie nicht: langfädige, komplizierte, betriebsspezifische Prozesse voller Medienbrüche, Doppelspurigkeiten und Absurditäten. Erklärungen dafür gibt es viele: von „das ist eben historisch gewachsen…“ bis „…wir haben leider keine gute Systemunterstützung“.
Aber wie eine Verbesserung erreichen?
Die Aussichten sind nicht unbedingt rosig.
Stapel von dokumentierten IST-Prozessen bringen die Organisation meist nicht weiter, sondern verschwinden in in den Schubladen. Mutige und radikale Visionen für SOLL-Prozesse sind so selten, wie die Führungskräfte, welche sich an eine Umsetzung wagen.
Sind Sie auch schon resigniert aus einem Prozess-Projekt herausgegangen?
Fallstricke und Frustrationspotential gibt es zuhauf:
- Grosser Aufwand zur Analyse der Prozesse, wenig Verbesserung wird umgesetzt
- Komplizierte Dokumentationswerkzeuge und Notationen, zu technischer Projektansatz
- Fokus auf den falschen Prozessen
- Geschäftsleitung steht nur halbherzig hinter dem Vorhaben
- IT-Infrastruktur zur Umsetzung ist nicht vorhanden, Umsetzungsprojekt zu kompliziert und zu teuer, mangelnde Unterstützung seitens der Informatik
Dabei ist die Analyse und Optimierung von Prozessen unabdingbar für einen wirtschaftlichen Ressourceneinsatz. Besserer Service an der Kundenfront, schnellere Durchlaufzeiten, Verringerung des manuellen Arbeitsaufwands: im digitalen Zeitalter ist der Informatik-Einsatz der Schlüssel zum Erfolg. Aber eben: zuerst müssen die Prozesse verstanden, analysiert und konzipiert werden.
Zielvorgaben richtig wählen – 3 Lösungsansätze
In der Praxis lassen sich drei Vorgehensweisen unterscheiden, die alle ihre Berechtigung haben. Wichtig ist es, sich beim Projektstart über die Ziele, aber auch die Limitationen des gewählten Ansatzes im Klaren zu sein.
(1) Prozesslandkarte
Die Prozesslandkarte dient dazu, das gesamte Portfolio der Prozesse sichtbar zu machen und ihre Abhängigkeiten aufzuzeigen. Die systematische Vorgehensweise hilft bei der Festlegung von Aufbauorganisation, Zuständigkeiten und Systemberechtigungen, wie sie beispielsweise für ein IKS (internes Kontrollsystem) erforderlich sind. Aus der Übersicht der Prozesse lassen sich Schlüsselprozesse bestimmen, welche optimiert werden sollen.
Beispiel:
Prozesslandkarte aller administrativen Prozesse im Personalwesen einer städtischen oder kantonalen Verwaltung, eines Kantonsspitals oder anderen Betriebs der öffentlichen Hand.
Bewertung:
Als Überblick unabdingbar. Für das Projektteam frustrierend ist es, wenn zu viel Aufwand auf die Prozesslandkarte verwendet wird und nachher nichts mehr passiert. Die Wirkung der Organisation nach aussen sollte zusätzlich mit dem Business Engineering Ansatz überprüft werden.
(2) Business Engineering Ansatz
Hier liegt der Schwerpunkt auf den erbrachten Leistungen der Organisation und den Aussenbeziehungen zu Bürgern, Kunden, Geschäftspartnern und Behörden. Eine Business Engineering Analyse führt meist zu Grundsatzfragen Sollen wir diese Leistung überhaupt noch in dieser Form anbieten? Kann ein Geschäftspartner diesen Service oder Teile der Abwicklung übernehmen? Wie integrieren wir den Datenfluss und die Prozess-Steuerung optimal zwischen den verschiedenen Partnern?
Beispiel:
Die Personalabteilung einer grossen öffentlichen Institution (städtische oder kantonale Verwaltung) will den Bewerbungsprozess über das Internet systematisieren (E-Recruiting). Im Zuge des Prozessmodells kommt sie zum Schluss, nicht nur die Infrastruktur für Stellenauschreibungen und Bewerbungen in die „Cloud“ auszulagern, sondern einen Teil des Bewerbungsprozesses durch externe Dienstleister in der Cloud abwickeln zu lassen.
Bewertung:
Prozessoptimierung nach dem Business Engineering Ansatz hat eine grosse Wirkung auf Effizienz und Effektivität der Prozesse. Grundsätzliche Fragen aufzuwerfen braucht Mut und die Bereitschaft, sich politischen Widerständen zu stellen. Die Anwendungsgebiete bleiben deshalb meist auf Highlights beschränkt, die sich gut «verkaufen» bzw. kommunizieren lassen. Die Anwendungsbeispiele in der öffentlichen Verwaltung nehmen zu – es gibt aber noch viel Potential zu realisieren.
(3) Digitalisierung von Schlüsselprozessen
Vielleicht die «dankbarste» Variante der Prozessoptimierung ist die Umsetzung eines einzelnen Prozesses mit innovativen Informatik-Mitteln: man sieht sofort ein Resultat und realisiert einen Nutzen. Im Vordergrund steht hier häufig neue Technologie, welche Prozesse automatisiert oder ins Internet verlagert. Intelligente Scanning-Software, Dokumentenmagement, Workflow-Engines und Mobilgeräte sind Bausteine solcher Lösungen.
Beispiele:
«Self Service» für Mitarbeitende auf einem Intranet-Portal für Stammdatenmutation, Ferien- oder Weiterbildungsanträge. Versand von Lohnabrechnungen per sicherer E-Mail. E-Government Lösungen für einzelne Geschäftsprozesse wie beispielsweise Anträge und Bewilligungen.
Bewertung:
Der Nutzen aus der Umsetzung einzelner Prozesse kann sehr gross sein, wenn sich aufwendige papiergebundene Prozesse vermeiden lassen oder der Zugang für Kunden, Bürger und Geschäftspartner einfacher wird. Ein isolierter Erfolg bleibt aber in der Wirkung beschränkt . Gesamtsystem und Organisation sollten längerfristig auf umfassendere Prozessoptimierung geprüft werden (Prozesslandkarte, Business Engineering).
Ich möchte Prozesse optimieren, was kann ich tun?
Prozess-Landkarte: orientieren Sie sich hier an Standards für Ihre Branche und machen sie ein kurzes, zielgerichtetes Projekt. Der Beizug von erfahrenen Externen hilft Ihnen die Schwerpunkte zu setzen und rasch zu den richtigen Prioritäten zu kommen.
Business Engineering: konsultieren Sie Referenzprojekte anderer Verwaltungen oder auch aus der Privatwirtschaft. Revolutionen, auch solche durch innovative IT, kündigen sich meist an. Sie müssen nicht zu den Pionieren gehören, sollten aber am Puls des Markts bleiben.
Digitalisierung von Schlüsselprozessen: wählen Sie das richtige Anwendungsgebiet und vor allem die richtigen Projektpartner aus. Projektreferenzen und Branchenerfahrung sind wichtig; Sie brauchen betriebswirtschaftliches Know-How auf dem Projekt, Techniker welche den IST-Prozess auf einer neuen Lösung nachprogrammieren genügen nicht.
Roland Füllemann, Chefredaktor von referenzportal.ch, hat 20 Jahre Erfahrung mit Informatikprojekten im ERP-Umfeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Projektinitialisierung, Ausschreibungen für die öffentliche Verwaltung und Projektmanagement. Er ist Mitglied der Alumni Wirtschaftsinformatik Universität Zürich und nebenberuflich Dozent für Informatik an der HWZ Hochschule für Wirtschaft, Zürich.