Submissionen: neue Möglichkeiten mit dem «Dialog» unter dem revidierten Beschaffungsrecht
von Roland Füllemann und Julia Bhend
Mit dem revidierten Beschaffungsrecht, welches von den Kantonen ab 2021 in Kraft gesetzt wird, kommen neue Instrumente und Möglichkeiten. Vor allem der unter dem Bundesrecht bereits heute mögliche «Dialog» stösst bei kantonalen Beschaffungsstellen auf reges Interesse.
Fehlender Dialog mit dem Markt – ein lange bekanntes Problem
Die klassischen Verfahren der IT-Beschaffung gehen von einer mehr oder weniger exakten Spezifikation des Beschaffungsgegenstandes aus, welche Grundlage für die Offerten der Anbieter ist. Bei komplexen Beschaffungen ist es aber oft nicht möglich, den Beschaffungsgenstand schon vor der Ausschreibung genügend präzise zu beschreiben und abzugrenzen. Beispiele sind:
- Digitalisierung von Prozessen mit einem breiten Gestaltungsspielraum und einem hohen Nutzen aus Innovation
- Entwicklung von IT-Systemen nach agiler Vorgehensweise
- Beschaffung von Infrastrukturen, die einem raschen technischen Wandel unterzogen sind und wo nur wenige Spezialisten im Markt Bescheid wissen
Der Bund kennt deshalb bereits seit der Revision des BöB von 2010 den Dialog. Dieser erlaubt den Beschaffungsstellen, das Know-How und die Erfahrung der Anbieter bereits während der Beschaffung zu nutzen und den Beschaffungsinhalt gemeinsam mit den Anbietenden zu entwickeln. Die Anbieter liefern dabei mit ihren vorläufigen Angeboten Lösungsvorschläge für ein von den Beschaffungsstellen definiertes Problem. Im Dialog werden diese Lösungsvorschläge gemeinsam weiterentwickelt. Bis zur aktuellen Revision des Beschaffungsrechts galt der Leitfaden der KBOB [1] von 2012 als Richtschur für den Dialog.
Revision des Beschaffungsrechts
Die Totalrevision des BöB wurde im Juni 2019 vom National- und Ständerat verabschiedet. Seither wurden die Vollzugsbestimmungen und Umsetzungsmassnahmen erarbeitet. Die Inkraftsetzung wird per 1. Januar 2021 angestrebt. Der Dialog ist neu nicht mehr in der Verordnung sondern auf Gesetzesebene geregelt (BöB Art. 24). Die Kantone werden diese Regelung über die IVöB übernehmen und Detailbestimmungen in den kantonalen Rechtsgrundlagen ausarbeiten. In ersten Kantonen werden somit ab 2021 Rechtsgrundlagen zum Dialog bestehen.
Rahmenbedingungen des Dialogs
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, bietet sich der Dialog für komplexe Beschaffungsgegenstände und innovative Leistungen an. Dies trifft häufig auf Software-Entwicklung zu (auch in Kombination mit der Beschaffung von Standardsoftware) sowie auf die Digitalisierung von Prozessen. Auch intellektuelle Dienstleistungen wie z.B. die Strategieentwicklung fallen in den Anwendungsbereich, ferner Vorhaben mit komplexen Finanzierungslösungen wie z.B. «Public Private Partnership». Unter dem revidierten Beschaffungsrecht sind die folgenden Rahmenbedingungen zu beachten:
- Auf den Dialog ist bereits in der Ausschreibung hinzuweisen
- Der Auftraggeber gibt Ablauf und Inhalt des Dialogs bekannt, sowie die vorgesehene Entschädigung (Zeitaufwand der Anbieter, Immaterialgüterrechte)
- Der Dialog darf nicht zum Zweck geführt werden, Preise und Gesamtpreise zu verhandeln. Es ist jedoch zulässig, dass Preise im Verlauf des Dialogs als Folge der Konkretisierung des Leistungsgegenstand angepasst werden.
- Der Dialog muss durch die Beschaffungsstelle in nachvollziehbarer Weise dokumentiert werden
- Der Dialog wird in erster Linie bilateral mit den Anbietern geführt. Anbieterübergreifende Dialoge mit kombinierten Lösungsvorschlägen sind sehr anspruchsvoll und schwierig realisierbar
Vorteile und Nachteile des Dialogs
Vorteile
- Vermeidung von Fehlspezifikationen und Überspezifikationen, welche durch mangelnde Weitsicht und Marktkenntnis entstehen können
- Vermeidung von heiklen Vorbefassungen, welche z.B. durch Vorstudien entstehen können
- Know-How und Erfahrung der besten Anbieter am Markt können bereits in der Beschaffungsphase genutzt werden
- Vermeidung von Verfahrensabbrüchen, welche durch Fehleinschätzung der Marktsituation bedingt sind
Nachteile
- Erhöhte Durchlaufzeit und Zeitaufwand seitens der Beschaffungsstelle und der Anbieter. Zeitaufwand und intellektuelle Leistungen müssen vergütet werden.
- Aufgrund der sehr knappen Regelung im Gesetzestext muss die Beschaffungsstelle den Ablauf des Dialogs selbst ausgestalten und beschreiben.
- Der aufwendige Dialog muss aus praktischen Gründen auf wenige Anbieter beschränkt bleiben. Die im Gesetzestext geforderte „Reduktion der teilnehmenden Anbieter nach sachlichen und transparenten Kriterien“ könnte zu Beschwerden seitens nicht berücksichtigter Anbieter führen.
Ab wann kann der «Dialog» von kantonalen Beschaffungsstellen genutzt werden?
Mit Inkrafttreten der IVöB 2019 ist es im Rahmen von offenen oder selektiven Verfahren möglich, einen Dialog durchzuführen. Die IVöB tritt in Kraft, sobald zwei Kantone beigetreten sind. Das Beitrittsverfahren eingleitet haben die Kantone Bern, Aargau und Schwyz (Stand Sept. 2020). Beschaffungsstellen unter kantonalem Recht müssen sich mit dem Dialog also noch ein wenig gedulden, zumal auch ergänzendes kantonales Recht noch zu verabschieden ist.
SIMAP ist übrigens bereits gerüstet: für Publikationen die ab dem 22. Dezember 2020 erfasst werden, treten aufgrund des revidierten Beschaffungsrechs neue Formulare in Kraft; diese enthalten auch Anpassungen für den Dialog.
Glossar und Dokumentenverweis
[1] Leitfaden öffentliche Beschaffungen mit Dialog, KBOB, 20.06.2012
BöB | Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen |
IvöB | Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen |
KBOB | Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren |
Roland Füllemann, Beschaffungsberater bei example consulting gmbh, hat 20 Jahre Erfahrung mit Informatikprojekten im ERP-Umfeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Projektinitialisierung, Vorstudien und Ausschreibungen für die öffentliche Verwaltung.