Spesen – ein Prozess für HR?
Das Abrechnen von Spesen gilt als schwerfälliger und arbeitsintensiver Prozess. Dabei sind Zettelwirtschaft und das Aufkleben von Spesenbelegen nicht mehr zeitgemäss. Neue Lösungen schlagen eine Brücke zwischen HR und Rechnungswesen.
Für das Personalwesen gibt es heute eine umfassende IT-Unterstützung: Personaladministration, Lohnverarbeitung, Zeitwirtschaft und vieles mehr. Da erstaunt es, dass in vielen Organisationen das Abrechnen von Spesen als ein schwerfälliger und arbeitsintensiver Prozess beschrieben wird: Mitarbeitende kleben Spesenbelege auf A4-Blätter auf und rennen ihren schwer erreichbaren Vorgesetzten hinterher, damit diese ihre Ausgaben visieren. Weitere Hürden gibt es bei der Einhaltung von Richtlinien (Controlling, Compliance) und bei der Auszahlung an die Mitarbeitenden. Die einzigen verfügbaren IT-Instrumente für die Spesenerfassung sind oft Excel-Arbeitsblätter. Zu recht taucht die Frage auf, ob es hier keinen besseren, IT-unterstützten „State oft the Art“ Prozess gibt.
«Heute kleben Mitarbeitende Spesenbelege auf A4-Blätter auf und rennen ihren schwer erreichbaren Vorgesetzten hinterher»
Finanzabteilung oder Personalabteilung
Die erste Hürde bei der Lösungssuche ist oft bereits die Zuständigkeit. In vielen Betrieben und öffentlichen Verwaltungen ist der Spesenprozess ein Thema des Finanz- und Rechnungswesens. Das Controlling und die Qualitätssicherung der Spesenabrechnung übernimmt das Rechnungswesen, die Auszahlung erfolgt über die Kreditorenbuchhaltung. Bei einem Prozess-Redesign „auf der grünen Wiese“ kommt man aber meist zum Schluss, dass Spesen mit Vorteil über die monatliche Lohnabrechnung ausbezahlt werden sollten. So ist sichergestellt, dass deklarationspflichtige Vergütungen (z.B. Ausbildungszuschüsse) auf dem Lohnausweis des Mitarbeitenden ausgewiesen werden. Ausserdem entfällt die Pflege der Zahlungsverbindung von Mitarbeitenden in der Kreditorenbuchhaltung – die Lohnadministration führt diese Daten ja ohnehin. Auch wenn die Auszahlung von Spesen über den Lohn als „State oft the Art“ unumstritten ist, führt eine Umstellung des alten Spesenprozesses oft zu Diskussionen. Die Personalabteilung, welche bis anhin nichts mit diesem Prozess zu tun hatte, befürchtet Mehrarbeit und die Übernahme zusätzlicher Verantwortung. Das muss aber nicht so sein, wie wir in diesem Artikel ausführen: Datenfluss und Workflow lassen sich von der Aufbauorganisation im HR trennen.
Die unseligen Spesenbelege
Eine Excel-Sheet oder ein Webformular zur Erfassung von Spesen ist vergleichsweise schnell eingerichtet. Problematisch ist der Umgang mit den die Originalbelegen, welche in unterschiedlichen Formaten anfallen (Restaurantquittungen, Parktickets, Bahnbillete, usw). Gemäss Vorgaben der ESTV (Stichwort: Mehrwertsteuer) müssen diese aufbewahrt werden. In der Praxis ist das Einscannen dieser Belege und die Ablage in einem revisionssicheren Archiv ausreichend, wie dies auch für Kreditorenrechnungen gilt. Weil das Aufkleben und Erfassen von Quittungen vergleichsweise arbeitsintensiv bleibt, überlegt man vielerorts ,die Belege mit dem Smartphone zu fotografieren. Lösungen, welche dies unterstützen gibt es bereits mehrere auf dem Markt.
Das Organisationsmanagement als Basis
Spesenprozesse gleichen sich: in den meisten Organisationen braucht es vor der Auszahlung die Freigabe durch Vorgesetzte. Ein elektronischer Freigabeprozess (Workflow) bedingt, dass das System diese Vorgesetzten kennt . Diese Daten sollten idealerweise aus dem HR-Organisationsmanagement (OM) stammen, dann müssen sie nicht separat und redundant gepflegt werden. Oft stellt sich heraus, dass die Organisationsdaten noch nicht vollständig und in ausreichender Qualität gepflegt sind – dann steht zuerst eine Datenbereinigung im OM an.
Eine Alternative gibt es dort, wo bereits ein Kreditorenworkflow mit Beleg-Scanning und Freigabe durch Kostenstellenverantwortliche existiert: dann kann ein Spesen-Workflow unter Umständen mit wenig Aufwand auf der bestehenden Infrastruktur eingerichtet werden. Kostenstellenverantwortung und Führungsverantwortung sind für diesen Anwendungsfall oft deckungsgleich. Ein revisionssicheres Archiv ist dann auch bereits vorhanden.
Aber aufgepasst: damit ist nicht gemeint, das die Spesen über Kreditoren ausbezahlt werden müssen. Die Auszahlung kann dennoch über den Lohn erfolgen, Voraussetzung dafür ist eine Schnittstelle vom Workflowsystem zum Lohnverarbeitung.
Was machen die Anbieter von HR-Software?
Schon länger gab es die Möglichkeit, Spesen im Rahmen einer Zeit- und Leistungserfassung abzuwickeln. Beispiele dafür sind projektorientierten Zeiterfassungen wie projekto.pro der Schweizer Firma Zeit AG oder die Lösungen CATS und ProTime in der SAP Welt. Mit dem Reisekostenmanagement (Travel Management) bietet SAP seit Jahren eine Lösung, welche auch grosse und komplexe Organisationen mit vielen Auslandsreisen zufriedenstellen konnte. Eine Mobil-App zum Fotografieren von Spesenbelegen rundet die Lösung ab, eine Alternative gibt es mit SAP Fiori. SAP erkannte auch das Potenzial der Cloud für das Reisemanagement und entwickelte die „SAP Cloud for Travel and Expense“. Seit Februar 2015 wird die Lösung allerdings nicht mehr weiterentwickelt, denn es gibt bereits wieder etwas Neues: SAP kaufte für 8.3 Mrd. $ die auf Reisemananagement spezialisierte amerikanische Concur. Diese Plattform wird in das Cloud-Ökosystem von SAP integriert, wodurch Kreditkartenfirmen, Hotelbuchungsplattformen, Flug- und Transportgesellschaften, usw. angebunden werden. Concur ist damit die „High-End“ Lösung im Reisemanagement, lohnt sich aber tendnziell nur für Kunden mit einem hohen Transaktionsvolumen.
«Auf der Nutzenseite locken eine Halbierung der Prozessdurchlaufzeit und signifikante Kosteneinsparungen»
Jetzt umsetzen und Prozesse verbessern
Das Lösungsangebot entwickelt sich rasant und mittlerweile hat Concur auch die Schweiz erreicht. Erwarten wir, dass die öffentliche Verwaltung nun mit ihren Spesen in die Cloud geht? So schnell wird dies nicht geschehen und für viele Verwaltungen ist ein „High-End Cloud-Ökosystem“ vielleicht auch überdimensioniert. Andererseits ist es nicht mehr zeitgemäss, dass grosse Organisationen mit viel Reisetätigkeit ihre Spesenabrechnungen über Excel-Formulare und „Aufkleben von Originalbelegen“ abwickeln. So machen es z.B. heute noch viele Schweizer Hochschulen. Da im akademischen Umfeld viele Auslandsreisen getätigt werden, wären Hochschulen für modernere Reisespesen-Prozesse prädestiniert. Einen Vorsprung hat hier die Universität Basel – sie hat die Lösung SAP Travel Management eingeführt und verarbeitet Spesenbelege digital mittels Workflow. Viel braucht es gar nicht für einen optimierten Prozess: ein App zum Fotografieren von Spesenbelegen, ein Workflow für die Freigabe und ein revisionssicheres digitales Ablagesystem. Auf der Nutzenseite locken eine Halbierung der Prozessdurchlaufzeit und signifikante Kosteneinsparungen. Die Kostentransparenz wird erhöht und die Einhaltung interner Reglemente und gesetzlicher Vorgaben sichergestellt. Wir haben die besten Lösungen im Schweizer Markt am Ende des Artikels zusammengestellt.
Praktische Tipps zum Spesenprozess
Sie wollen der «Zettelwirtschaft» ein Ende machen und den Spesenprozess schlank und gleichzeitig rechtssicher abwickeln? Hier die wichtigsten Punkte:
- Sie zahlen Spesen noch nicht über den Lohn aus? Prüfen Sie die Vorteile und die geltenden Compliance-Vorgaben (z.B. verlangte Angaben auf dem Lohnausweis)
- Lassen die Daten in Ihrem Organisationsmanagement (OM) einen Freigabe-Workflow über Vorgesetzte zu? Wenn nicht, kann dies ein Anzeichen sein, dass ihr OM unterentwickelt ist und auch weitere digitale Prozesse nicht optimal unterstützt.
- Sie haben bereits einen Kreditorenworkflow im Einsatz? Prüfen Sie, ob Organisation und Infrastruktur für den Spesenprozess verwendet werden können.
- Sie wollen Belege mobil mit dem Smartphone erfassen? Dafür gibt es Lösungen «on Premise» oder in der Cloud. Siehe am Ende des Artikels.
- Sie haben ein grosses Belegvolumen und wünschen den Anschluss an Buchungsplattformen, Transportanbieter und Kreditkartenfirmen? Dann orientieren sich sich an den Cloud-Anbietern (z.B. Concur)
- Wichtig: lassen Sie den Prozess und das digitale Ablagesystem für die Spesenbelege durch ihren Revisor prüfen. Bekommen Sie die Freigabe, droht später auch kein Zwist mit der ESTV/Mehrwertsteuer
Roland Füllemann, Chefredaktor von referenzportal.ch, hat 20 Jahre Erfahrung mit Informatikprojekten im ERP-Umfeld. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Projektinitialisierung, Ausschreibungen für die öffentliche Verwaltung und Projektmanagement. Er ist Mitglied der Alumni Wirtschaftsinformatik Universität Zürich und nebenberuflich Dozent für Informatik an der HWZ Hochschule für Wirtschaft, Zürich. Vorstudien und Architekturplanung für HR-Systeme bietet er unter dem Dach der example consulting an.